gesendet am 24.12.2007 im WDR
Sind Sie, liebe Hörerinnen und Hörer, in diesem Augenblick gerade dabei, Ihre Weihnachtskrippe aufzubauen? Oder gibt es bei Ihnen in diesem Jahr gar keine? Der Brauch ist alt. Als sein Erfinder gilt Franziskus von Assisi. In der Heiligen Nacht des Jahres 1223 hat er im Wald von Greccio die Geschichte der Geburt Christi anschaulich inszeniert und dabei sogar ein richtiges Baby in den Futtertrog gelegt.
Gefeiert habe ich den heiligen Franz Anfang Oktober mit einer kleinen Schar deutscher und tschechischer Christen. Die Kirche im Heimatdorf meiner Mutter ist ihm geweiht. Schönborn, heute Studanka; liegt unmittelbar an der sächsisch-böhmischen Grenze. Ich erinnere mich, dass ich als Kind am Dreikönigstag von dort sechs Kilometer durch den glitzernden, knirschenden Schnee gestapft bin, gut eingepackt gegen die schneidende Kälte. Unser Ziel war das nahe Städtchen Rumburg. Dort gab es eine mechanische Krippe mit viel Landschaft drumherum und einem Getümmel von Figuren aus dieser Gegend. Vieles bewegte sich da: Bergleute hämmerten im Gestein, Kinder fuhren Schlittschuh, kniende Beter verbeugten sich wippend auf der Wallfahrtstreppe. Das Mühlrad drehte sich, die Eisenbahn rollte daher. Und die Heiligen Drei Könige kamen hinter einem Felsen hervor, zogen in die Höhle hinein, verschwanden darin, um dann wieder wie vorher aufzutauchen.
Uns Kinder hat dieses Wunderwerk böhmischen Basteleifers fasziniert. Längst ist es irgendwo verrottet, wahrscheinlich verschrottet. Aber im Gedanken daran bleibt mir die Frage, liebe Hörerinnen und Hörer: Was ist für Sie und für mich im Lauf mit den Jahren aus der Geschichte von Weihnachten geworden? Wie werden wir sie heute Abend hören? Was klingt mit in den Gesängen auf der CD oder im Lichtglanz einer Kirche? Und was bleibt, wenn es auf einmal ganz still wird?
Das Erlebnis vollkommener Stille ist heutzutage gar nicht so leicht zu haben, nicht einmal an der Stelle, die an die Krippe des Jesuskindes erinnert, in der Geburtskirche von Bethlehem. Trotz der politischen Ängste, die immer wieder die Stadt überschatten, drängen unentwegt Pilger und Touristen die schmale Treppe hinunter, dorthin wo am Boden ein Silberstern auf das Geschehen der Heiligen Nacht hinweist. Nur manchmal hat es sich ergeben, dass auf einmal keiner mehr da war und ich allein dort saß. Ganz persönlich war ich konfrontiert mit der Frage: Wie soll das gehen, dass der verborgene Gott in unserer, in meiner Menschlichkeit sichtbar und fassbar wird?
Wenn der Betende sich dort etwas nach rechts wendet, sieht er, noch tiefer gelegen, einen kleinen Altar. Da soll die Krippe gestanden haben, in die das neu Geborene gelegt wurde. Die Antwort auf unsere Frage liegt also buchstäblich „noch tiefer“: im Eingeständnis unserer Armseligkeit und in der Entdeckung eines letzten Sinns, der sich gerade da „hinein legen“ lässt. Der Poverello – Franziskus, der „kleine Arme“ – hat das verstanden und hierauf seine Zeitgenossen in origineller Weise aufmerksam gemacht. Uns auch. Während ich sein freundschaftliches Augenzwinkern wahrnehme, wünsche ich Ihnen gesegnete Weihnachten und an der Krippe ein nachdenkliches Innehalten.
Aber noch etwas: In diesem Sommer war ich nicht nur unterwegs auf den Spuren meiner Kindheit, sondern – wieder einmal – in Bethlehem. Wir hatten die Erlaubnis, mit einem Kamerateam in der Geburtsgrotte zu filmen. Danach sind wir zu einer „Krippe“ anderer Art gegangen. Das französische Wort „creche“ bezeichnet eine Initiative, in der seit langem über hundert Kinder bis zu sechs Jahren liebevoll aufgenommen und betreut werden. Manche sind in Müllsäcken, alten Pappkartons oder im Gebüsch irgendwo abgelegt worden, weil die Mutter keine Lebenschance für sie sah. Krippe und Bethlehem aktuell. Gott klopft immer noch an und sucht eine Herberge. Auch heute Abend.
Msgr. Winfried Pilz, Aachen;
Präsident des Kindermissionswerkes „Die Sternsinger“